ELISABETH SONNECK

*1962 in Bünde, lebt und arbeitet in Berlin

Zur Konzeption der Ausstellung Introspektiv – Grüne Werte im RAUM SCHROTH, 2021

Grün – eine Frage der Balance 

Das Faszinierende an den Soester Grüntönen ist, dass sie durchweg ihr koloristisches Gegenteil enthalten: Farbwerte zwischen Ocker und Orange, die das summarisch wahrgenommene Grün durchsetzen, seine Reinheit brechen und es durch unzählige Nuancen bereichern, für die die Sprache keine Worte hat. Da zeigt sich die Relativität der Farbe. Sie existiert nur in beweglicher Beziehung – wobei ich diesen Aspekt immer stärker als unmittelbare Entsprechung zu unserer sozialen Gegenwart empfinde. Die farbliche Beschaffenheit des Soester Grüns kann auf viel weiter gespannte Zusammenhänge hinweisen. 

Grüne Werte sind keine impressionistische oder mimetische Verarbeitung des Soester Grüns. Davon führten bereits die Beobachtungen und Fragen im Zuge der Recherche weg. Neben der malerischen Farb-Recherche vor Ort habe ich das Handy genutzt. Damit wird der Ton oft verfälscht, die technischen Farbverwerfungen verhindern eine naive Gleichsetzung von Realität und Abbild. Die unbearbeiteten Fotos (2019-2021) werden im originalen Bildausschnitt in der automatischen Farbgebung des Handys und in der standardisierten Farbgebung der Ausdrucke im copyshop gezeigt – und das echte, lapidare Grün in den Mauern um das Museum bemisst die Entfremdungen im Versuch der Annäherung. 

Introspektiv setzt hier die malerische Metamorphose des Soester Grüns ein, die auch die speziellen Bestandsfarben im Raum Schroth einbezieht. Eine Farbe ruft die nächste, Lokalfarben rufen freie Töne auf, und so immer weiter bildet sich das koloristische Geflecht der gestaffelten Pinselzüge: Das Soester Grün wird Teil einer komplexen Po- lyphonie auf kleinen Papierformaten wie auf langen Papierbahnen. Deren Materialität ist biegsam, die gerollten Formen nicht endgültig. Seit Beginn meiner Papier-Installationen in 2006 habe ich die Papiere in neuen Kontexten anders wiederverwendet, neu gemalte Papiere kommen hinzu, und auch die eigens für den Raum Schroth gemalten, grüntönigen Papierbahnen werden Teil dieser offenen Dynamik. 

Härte, Festigkeit, Gewicht, Masse des steinernen Grüns (dessen Beständigkeit in den jüngst renovierten, nun grauen Türmen der Wiesenkirche bereits sichtbar angezählt ist; die grünen Gesteinsvorkommen sind nahezu erschöpft) erscheinen ins Gegenteil übersetzt: Die Installation entsteht mit der flexiblen Eigenspannung des Papiers. Sie zeigt in jedem einzelnen Element wandelbare Möglichkeitsformen, die Zeitlichkeit der „unfixen“ Skulptur, die Zartheit des Materials und fast schwerelose Volumina. Die Verortungen sind präzise physikalisch ausbalanciert, ohne verdeckte Siche- rungen. Vielmehr suche ich eine unhierarchische Koexistenz von Malerei und den 

im Alltag gefundenen Mitteln zu ihrer Installierung im Raum, und eine fließende Verbindung dazwischen. 

Vor Ort geht es mir um die Verbindung der „Eintragungen“ des Soester Grün auf Papier mit den Besonderheiten des Raum Schroth. Introspektiv – Grüne Werte folgt einem körperbezogenen, empirischen Ansatz, in dem die Besucherinnen die Hauptrolle spielen. Die Flexibilität der Installation korrespondiert ihren momentanen, individuellen Bewegungen und gleitenden Blickfeldern im Raum. 

Elisabeth Sonneck, Zur Konzeption der Ausstellung. Grün – eine Frage der Balance, in: Elisabeth Sonneck, Introspektiv – Grüne Werte, Ausstellungskatalog, hg. von Stiftung Konzeptuelle Kunst, Soest 2021, S. 8f.

www.elisabeth-sonneck.de